Anlässlich der Veröffentlichung des ersten Berichts zur gesellschaftlichen Teilhabe – Altersarmut in Baden-Württemberg hatte das „Bündnis gegen Altersarmut“ zur Veranstaltung „Im Schatten des Wohlstandes – Fachgespräch zur wachsenden Altersarmut“ am 19. April eingeladen. Die Veranstaltung sollte Herausforderungen und Schwierigkeiten, die Altersarmut speziell in Baden-Württemberg bedingen, beleuchten und konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung aufzeigen.
Dazu stellte Kristina Faden-Kuhnen von der FamilienForschung Baden-Württemberg die zentralen Befunde und Handlungsempfehlungen des Berichts anschaulich dar:
- 19,2 % aller Menschen über dem 65. Lebensjahr in Baden-Württemberg leben in Armut, in absoluten Zahlen sind dies 427.900 Personen.
- Ältere Frauen sind dabei deutlich häufiger arm als ältere Männer (21,6 % vs. 16,3 %).
- Dieser Geschlechtsunterschied manifestiert sich in der durchschnittlichen gesetzlichen Rente, die älteren Menschen in Baden-Württemberg im Monat zur Verfügung steht: sie beläuft sich bei Männern auf 1.327 € und bei Frauen auf 861 € im Monat, wobei die gesetzliche Rente für die allermeisten älteren Menschen die zentrale Einkommensquelle darstellt.
- Altersarmut ist somit vorwiegend ein Problem, das Frauen betrifft.
- Besonders betroffen sind zudem Menschen mit Migrationsgeschichte und Alleinstehende.
Der gravierende Geschlechterunterschied liegt darin begründet, dass Frauen häufiger für die Erziehung der gemeinsamen Kinder Unterbrechungen in ihrer Erwerbsbiographie in Kauf nehmen und öfter und länger in Teilzeit arbeiten als Männer. Zudem liegen die Ursachen in der zunehmenden Prekarisierung von Erwerbsarbeit in den letzten Jahrzehnten (v.a. in der Ausweitung des Niedriglohnsektors) und vorurteilsbedingten Benachteiligungen am Arbeitsmarkt begründet.
Eindringlich illustriert wurde diese Problemlage durch das Grußwort von Uta-Micaela Dürig, sozialpolitische Vorständin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, die in ihrer Rede hervorhob, wen Altersarmut vorwiegend trifft: die Verantwortungsvollen, die sich um kranke und bedürftige Familienmitglieder gekümmert und sie gepflegt haben; die Fleißigen und Pflichtbewussten, die der Gesellschaft, nichts und niemandem zur Last fallen wollten und ihr Leben in prekären Arbeitsverhältnissen verbracht haben; und die Menschen, die sich für ihren Lebensunterhalt ausschließlich selbst verdingen mussten und nie um die Sicherheit eines späteren Erbes in ihrem Leben wussten.
Aus der Vorstellung des Berichts und den Darstellungen von Menschen, die in Altersarmut leben und bei der Veranstaltung aus ihrem Leben berichteten, wurde ebenso ersichtlich, womit dieser ökonomische Mangel an Teilhabe automatisch einhergeht: einem geringeren Selbstwertgefühl, einer grundsätzlich geringeren Lebenszufriedenheit, einem Mehr an psychischen Erkrankungen wie Depressionen, einer schlechteren Bewertung der eigenen Wohnsituation, weniger sozialen Kontakten und mehr Einsamkeit.
Neben der eindrücklichen Darstellung des Problems wurde im Rahmen der Veranstaltung deutlich, was nun getan werden muss, um wirkungsvoll gegen Altersarmut vorzugehen:
Mit Blick auf die Einkommenslage, wonach 9 von 10 Personen ihren Lebensunterhalt überwiegend durch die Rente bestreiten und die Rente somit die tragende Säule der Alterssicherung ist, ist festzuhalten, dass Rente so organisiert sein muss, dass sie Armut im Alter verhindert. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Verfalls der Rente als Sicherung des Lebensstandards im Alters, wurde auch der soziapolitische „Sprengstoff“, den diese Entwicklung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt betont, der sich an der wachsenden Zahl von „Protestwählern“ unmittelbar ablesen lässt. Auf bundespolitischer Ebene ist somit entscheidend, zeitnah eine Verbesserung und Konsolidierung der Altersvorsorge und eine armutsfeste Alterssicherung herbeizuführen.
Auf Ebene des Landes und der Kommunen gilt es, eine ressortübergreifende Landesstrategie umzusetzen, die älteren Menschen eine gute Versorgung und ein Leben in Würde gewährt. Diese Strategie sollte die Lebenslage Altersarmut umfassend in den Blick nehmen, langfristig mit den notwendigen Ressourcen angelegt sein und sowohl präventive Maßnahmen beinhalten, die das Risiko zukünftiger Altersarmut reduzieren und Maßnahmen, die die akuten Auswirkungen von Altersarmut abmildern:
Zur Prävention von Altersarmut spielt die Stärkung von Bildungsgerechtigkeit, also eine Entkopplung der Lebenschancen von der sozialen Herkunft, eine zentrale Rolle. Dies beginnt dabei, allen Kindern den gleichen Zugang zu frühkindlicher Bildung zu gewähren. Alle Kinder und Jugendlichen brauchen eine gute und Schul- und Berufsausbildung, unabhängig vom Einkommen, sozialem Status und Herkunft der Eltern, erreichbar durch einen Ausbau der Förderung der Ausbildung durch Land und Kommunen. Ebenso unerlässlich für Prävention von Altersarmut ist die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch eine verlässliche, flächendeckende Kinderbetreuung, die es Frauen ermöglicht, so erwerbstätig zu sein, dass sie im Alter vor Armut geschützt sind. Ebenso ist entscheidend, Mädchen und Frauen systematisch und frühzeitig über das Thema Altersarmut zu informieren und zu sensibilisieren.
Akute Maßnahmen, um die Auswirkungen von Altersarmut abzumildern, bestehen im Ausbau spezieller Angebote, die „verdeckte Armut“ aufdecken und Leistungsansprüche geltend machen, denn sehr häufig werden Rechte auf Grundsicherung im Alter nicht in Anspruch genommen aufgrund von Scham und Unwissen. Zudem gilt es, den Ausbau kommunaler Angebote gegen Einsamkeit, armutspräventiver und seniorengerechter Infrastruktur (z.B. altersgerechte Sozialraumentwicklung zur besseren Versorgung im Quartier) und digitaler Teilhabe von Senior*innen voranzutreiben.
Der Bericht zur gesellschaftlichen Teilhabe – Altersarmut in Baden-Württemberg kann auf der Homepage des Statistischen Landesamtes heruntergeladen werden.