Kein Sondergesetz für Geflüchtete

Mit dem Sondergesetz sollte das Leistungsniveau so abgesenkt werden, dass „ökonomische Fehlanreize, die zu ungerechtfertigten Asylanträgen führen können“ beseitigt würden. Damals wie heute wurde den Schutzsuchenden unterstellt, dass sie nur wegen des vermeintlich hohen Niveaus an Sozialleistungen nach Deutschland kämen. Ziel des Gesetzes ist es also, Geflüchteten deutlich zu machen, dass sie auch in dem reichen Deutschland nur das Allernotwendigste bekommen. Letztlich wird damit signalisiert, dass Schutzsuchende eigentlich nicht erwünscht sind und so wenig bekommen sollen, dass es gerade noch vertretbar erscheint.

Die geringere Leistung

Der Regelsatz, also der Grundsicherungsbetrag, war von Anfang an niedriger als in der Sozialhilfe oder später im SGB II (Hartz IV). Und er wurde auch nie erhöht, sodass die Schere im Laufe der Jahre immer weiter auseinanderklaffte. Dazu kommt eine Vielzahl an Möglichkeiten – und diese sind bei der letzten Novellierung im Jahr 2019 noch einmal stark ausgebaut worden – die Leistungen auf den absolut not- wendigen Bedarf zu reduzieren. Verhungern und erfrieren soll niemand, aber Geld für den persönlichen Bedarf gibt es gar nicht mehr. Die Verwaltung kann beispielsweise kürzen, wenn sie der Ansicht ist, dass Mitwirkungspflichten (klassisch ist da die Passbeschaffung) nicht erfüllt sind.

Hinzu kommt eine reduzierte Versorgung bei Krankheit, die man als „lebensgefährliche Minimalmedizin“ (Pro Asyl) charakterisieren kann. Chronische Erkrankungen oder wenn nach Meinung der Verwaltung oder mancher Amtsärzt*innen keine akute Erkrankung vorliegt, sind kein Grund für medizinische Hilfe. Geflüchtete haben also keine Regelversorgung wie Kassenpatient*innen.

Das Sachleistungsprinzip

Alle Grundsicherungsleistungen – vom Essen bis zur Zahn- bürste und vom Busfahrschein bis zur Handykarte – sollen als Sachleistungen erbracht werden. Dies bedeutet, dass die Person, die die Leistung bekommt, keinerlei Dispositionsmöglichkeit hat. Sie muss das nehmen, was man ihr gibt. Das erwies sich aber in der Praxis, insbesondere bei Schutzsuchenden, die später auch in Gemeinden untergebracht waren, als teuer und unpraktisch. So gibt es heute viele Mischformen. In den Erstaufnahmeeinrichtungen ist, bis auf das Taschengeld für die persönlichen Bedürfnisse, alles als Sachleistung gestaltet, in den Gemeinden oft nur noch die Wohnunterbringung.

Dieses exemplarisch dargestellte System der deutlich schlechteren sozialen Versorgung von Geflüchteten gegenüber den Sozialleistungen von SGB II und SGB XII wurde in vielen Gesetzesnovellen verfeinert und zementiert. Natürlich haben die Sozialverbände, viele Migrationsexpert*innen und manchmal auch Parteien das System scharf kritisiert und die Abschaffung dieses Sondersozialrechts gefordert, aber geschehen ist nichts.

Im Jahr 2010 hat das Bundesverfassungsgericht die Grundsätze einer an der Menschenwürde orientierten Grundsicherung im SGB II herausgearbeitet. Damit war klar, dass die niedrigeren, willkürlich abgesenkten Beträge für Geflüchtete nicht mehr haltbar waren und 2014 hat das Gericht dann auch die Verfassungswidrigkeit der Regelsätze im AsylbLG festgestellt. Dabei wurde betont, dass die Grundsicherung nicht aus migrationspolitischen Gründen relativiert werden darf.

Braucht es ein Sondergesetz?

Die Leistungen für Geflüchtete können ohne große juristische Schwierigkeiten mit ein paar Modifikationen in das SGB II und XII überführt werden. Die an rein aufenthalts- rechtlichen Tatbeständen orientierten Kürzungsgründe sind zum einen eigentlich verfassungswidrig, zum anderen sind die Versuche der Ausländerbehörden, zum Beispiel bestimmte Handlungen über eine Senkung der Leistung zu erpressen, weder wirksam noch mit der Menschenwürde vereinbar. Auch das ausländerrechtlich begründete Arbeitsverbot, das sich aus anderen Gesetzen ergibt, wird als Sanktionsinstrument verwendet und ist schädlich, ökonomisch unsinnig und hat nicht die erwünschte Wirkung. Es gibt außer der rein ideologischen Begründung, es Geflüchteten „unbequem“ zu machen und sie von der Flucht nach Deutschland abzuschrecken, keinen Grund für das Gesetz.

Alternativen

Diese Haltung, Geflüchteten misstrauisch zu begegnen und sie anders und schlechter gegenüber dem allgemeinen Standard in der Grundsicherung zu behandeln, signalisiert Ablehnung. Nicht Gastfreundschaft oder die Schaffung von Grundlagen für eine spätere Integration. 

Sicher ist es sinnvoll, zur ersten Orientierung in Deutschland Wohnheime zu haben, in denen es auch Möglichkeiten einer Gemeinschaftsverpflegung (Kantinen) gibt. In diesen könnten Geflüchtete, so lange sie möchten oder so lange es notwendig ist, leben, aber die notwendigen Leistungen selbstbestimmt einkaufen. Indem die Schutzsuchenden von Anfang an als autonome Menschen verstanden wer- den, denen die Gesellschaft ein guter Gastgeber sein will, könnte sich die Haltung ändern. Das Lagersystem, wie wir es heute kennen und das eng mit den Sachleistungen und Einschränkungen des AsylbLG verwoben ist, kann es dann auch nicht mehr in dieser Form geben.

Der Gedanke der Integration von Anfang an bedeutet, dass es kein Sondergesetz AsylbLG mehr geben darf, das aus- grenzend und diskriminierend ist. 

 

Jörg Schmidt-Rohr
Geschäftsführer
ifa Heidelberg/Rhein-Neckar GmbH Verein zur beruflichen Integration und Qualifizierung e.V.
aqb − Arbeit und Qualifizierung für Menschen mit Behinderung GmbH
j.schmidt-rohr@ifa-heidelberg.de
www.vbi-heidelberg.de
www.ifa-heidelberg.de
Auszug aus: PARITÄTinform 3/2021

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