Interview mit Oskar Sommer

Oskar Sommer, 38 Jahre alt, ist, aufgrund einer Zerebralparese, von Geburt an auf einen Rollstuhl angewiesen. Mit ihm sprechen wir über seine Behinderung und seine Homosexualität.

 

Herr Sommer, wie sind Sie aufgewachsen und wie kam Ihre Familie mit Ihrer Behinderung klar?

Oh ich bin beinahe schon überbehütet, wenn nicht sogar überwacht, aufgewachsen. Ich bin das jüngste von sechs Kindern und meine Eltern haben sehr darauf geachtet, dass ich nicht selbstständig werde. Aber nur, damit sie das Geld kassieren konnten. Deshalb durfte auch niemand Fremdes bei uns zu Besuch kommen, damit niemand sah wie es wirklich war. Deshalb durfte ich mich auch nicht in der Öffentlichkeit zeigen. Erst als ich in der Schule immer mehr lernte darauf zu achten, dass ich auch ein Recht habe zu Leben wie ich es will, hat sich etwas geändert.

Als meine Geschwister aus dem Haus waren und mich auch nicht mehr irgendwohin mitnehmen konnten, musste ich erfinderisch werden. Oft sagte ich, ich muss zu einer Therapie, nur damit ich mal raus durfte um mich mit Freunden zu treffen.

 

Wann haben Sie dann gemerkt, dass Sie schwul sind?

Das kam dann über die Lebenshilfe, dort war ich in meiner norddeutschen Heimat regelmäßig in einer Gruppe. Und dort hatte ich mich unsterblich in einen Zivi verliebt.

 

Und was ist passiert?

Nun, aus dem Zivi ist nichts geworden, aber ich bekam Kontakt zur Akademie Waldschlösschen. Die Akademie bietet jährliche Seminare für LSBTTIQ*-Menschen mit Behinderung aus Deutschland, Österreich und der Schweiz an. Und da bin ich hin. Das war eine super Erfahrung für mich. Zum einen für den Austausch und weil man merkt: man ist nicht allein. Und besonders auch, weil ich dort, vor 14 Jahren, meinen Lebenspartner kennengelernt habe. Was natürlich andererseits auch nicht einfach war.

 

Oh, wieso denn?

Zum einen weil mein Partner in der Schweiz lebt. Und weil ich bei meiner traditionell-lebenden, sehr konservativen Familie noch nicht geoutet war. Zum anderen weil mein Vater auch sehr gewalttätig war. Da war ich dann im Spannungsverhältnis zwischen meiner Familie und meinem Partner, dem ich dann sagen musste: komm mich bloß nicht besuchen, hier bist Du in Gefahr!

Irgendwann konnte ich es dann nicht mehr aushalten und habe die Lebenshilfe kontaktiert und gesagt: ich muss hier raus. Und am Heiligabend war es soweit, mir wurde ein gesetzlicher Betreuer zugeteilt und ich konnte in die Schweiz zu meinem Partner. Die Lebenshilfe Lörrach half mir dann schnell eine Wohnung und eine ambulante Wohnbegleitung zugeteilt. Für diese schnelle Hilfe bin ich heute noch allen dankbar. Allen voran Frau Glöß.

In der Lebenshilfe Lörrach war die Atmosphäre auch eine ganz andere. Ich konnte offen mit meiner Homosexualität umgehen und es ansprechen. Und ich wurde verstanden. In meiner alten Heimat wurde das Thema sehr verklemmt behandelt. Am liebsten sprach man gar nicht davon. Aber so bin ich. Und wir Menschen mit Behinderung haben auch eine Sexualität. Das eine schließt das andere ja nicht aus!

 

Was denken Sie, wie wird man allgemein als Mensch mit Behinderung in Deutschland noch wahrgenommen?

Es ist schon noch eine sehr starke Bevormundung da. Wenn ich unterwegs bin ist die erste Frage oft „Wer begleitet Dich denn?“. Nicht nur, dass man mir ein eigenständiges Leben grundsätzlich nicht zutraut, sondern man wird direkt geduzt. Wenn ich in die Bank gehe werde ich gefragt „Wo ist denn Dein gesetzlicher Betreuer?“ – die Mitarbeitenden sind dann ganz verwirrt wenn ich entgegne, dass ich alles selbstständig mache.

Ich bin dann ja von Natur aus jemand, der nicht auf den Mund gefallen ist. Ich bringe dann gleich einen passenden Spruch um dem Gegenzuhalten. Aber viele Menschen mit Behinderung können das nicht. Aber man darf es nicht runterschlucken. Nur wenn man es anspricht ändert sich etwas! Und nur so lernt es die Gesellschaft uns auf Augenhöhe wahrzunehmen.

 

Wie nimmt die LSBTTIQ*-Community im speziellen denn Menschen mit Behinderung auf?

Klar, man ist eine Randgruppe in einer Randgruppe. In Bars oder auf Datingapps ist es besonders schlimm. Sobald die Männer sehen, dass man eine Behinderung hat oder im Rollstuhl sitzt ist man raus und wird ignoriert. Man wird auch da nicht mehr als Mensch gesehen.

Helfen tut da schon das Waldschlösschen – die Austauschtreffen sind Gold wert. Ich war auch engagiert im Verein Queerhandicap. Der will öffentlich zeigen, dass Menschen mit Behinderung auch queer sein können. Oftmals sind die Menschen ja schon schockiert, wenn ich nur eine Packung Kondome kaufe.

Ganz wichtig ist aber, dass das Thema in den Einrichtungen ankommt, die uns zur Seite stehen. Ich kann nur noch einmal wiederholen wie wichtig und, ja ich möchte sagen, lebensrettend es war, dass ich in der Lebenshilfe Lörrach auf so viel Verständnis gestoßen bin. Da musste ich nicht lange erklären, sondern es wurde geholfen. Das wünsche ich mir für alle Einrichtungen – und die ganze Gesellschaft.

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