PräventSozial engagiert sich in der Resozialisierung von Straffälligen, in der Prävention und in der Begleitung von Opfern und Zeug*innen in Strafverfahren. Die Einrichtung gibt sich nun ein neues Leitbildung - und LSBTTIQ* sind dort ein Bestandteil. Wir haben bei Sabine Kubinski nachgefragt wie es dazu kam - und was dies bereits bewirkt hat.
Mit welchem Ziel wurde denn der Prozess gestartet, bei PräventSozial ein neues Leitbild zu entwickeln?
Bisher orientieren wir uns am Leitbild des Paritätischen, haben aber schon seit längerer Zeit den Wunsch, ein eigenes Leitbild zu entwickeln, in dem sich, neben den Spezifika unseres Sozialunternehmens, beispielsweise hinsichtlich unseres Arbeitsfelds in der Straffälligen- und Opferhilfe, auch unsere Organisationskultur wiederspiegelt. Eine Leitbildentwicklung vollzieht sich jedoch nicht von heute auf morgen. Am Ende dieses Prozesses soll nicht ein Blatt mit hohlen, praxisfernen Maximen stehen. Papier ist bekanntlich geduldig. Uns kommt es daher vielmehr darauf an, dass letztlich ein Schriftstück entsteht, für das alle Mitarbeitenden aus Überzeugung eintreten.
Und wie kam das Thema LSBTTIQ* hinzu?
Nach dem Entschluss, die Leitbildentwicklung nun zielgerichtet anzugehen, wurde intern der „Arbeitskreis Leitbild“ gegründet. Fachbereichs- und projektübergreifend arbeiten dort bereits seit einigen Monaten Mitarbeiter*innen am Leitbildentwicklungsprozess. In diesem Gremium entstand die Idee, das Kollegium zu bestimmten Querschnittsthemen zu schulen, die für unser Selbstverständnis in der Arbeit mit unserer Klientel, aber auch für das gegenseitige Miteinander im Arbeitsalltag von Bedeutung sind. Schon bei den ersten AK-Terminen kam hierbei der Begriff „Diversität“ auf. Gendergerechtigkeit war für uns hierbei ein zentrales Thema, dem wir uns im Besonderen widmen wollten.
Wie sind Sie es dann im weiteren Verlauf angegangen?
Mit gendergerechter Sprache hatten wir uns bereits 2019 auseinandergesetzt und in unseren Öffentlichkeitsmaterialien daraufhin das Gendersternchen eingeführt. Für unser Ziel, ein gelebtes Leitbild zu entwickeln, wurde uns jedoch schnell klar, dass es nicht bei Symbolik bleiben kann. Es soll ja nicht nur darum gehen, einen Regenbogen-Aufkleber an der Eingangstüre anzubringen, sondern uns substanziell mit diesem und weiteren Themen, die Eingang in unser Leitbild finden sollen, auseinanderzusetzen. Wir haben uns daher in einem ersten Schritt entschieden, Schulungen für die gesamte Belegschaft anzubieten. An zwei Terminen führte die Türkische Gemeinde Baden-Württemberg e.V. (tgbw) hierfür für PräventSozial Workshops zum Thema „LSBTTIQ* und Gendergerechtigkeit“ durch. Daneben fanden Schulungen zu den Themen Rassismus und Diskriminierung statt. Unsere Leitbildentwicklung wird nach einer kleinen Sommerpause voraussichtlich im Herbst fortgesetzt. An ihrem Ende steht eine ein- bis zweitägige Klausur mit dem gesamten Kollegium. Gerne möchten wir nach Erstellung des Leitbilds eine fortlaufende Auseinandersetzung mit bestimmten Schwerpunktthemen, darunter LSBTTIQ* und Gendergerechtigkeit, aufrechterhalten.
Was hat Sie dabei besonders überrascht, als Sie sich – und die Belegschaft – vertieft mit dem Thema auseinander gesetzt haben?
Die Komplexität des Themas und seine Vielschichtigkeit. Uns wurde schnell klar, das hier nicht 1-2 Schulungstermine genügen, sondern eine nachhaltige Auseinandersetzung erforderlich ist, um Gendergerechtigkeit in unserer Organisationskultur langfristig zu verankern.
Wie haben sich die Schulungen in Ihrer Organisation ausgewirkt? Hat sich schon etwas verändert?
Es wurde im Nachgang auffallend viel über die Schulungen gesprochen. Das wirkt bis heute nach. Wir haben eine Sammlung erstellt, was uns bzgl. der weiteren Auseinandersetzung mit dem Thema wichtig erscheint. Neben einer konsequenten, gendersensiblen Sprache im geschriebenen und gesprochenen Wort und weiterer Symbolik einer sichtbaren Willkommenskultur kam ferner die Idee auf, im Unternehmen eine*n Genderbeauftragte*n als Anlaufstelle für Mitarbeiter*innen in eigener Sache oder bei aufkommenden themenspezifischen Fragen im Betreuungsverlauf von Klient*innen einzuführen. Bei Vorträgen probieren wir uns aktuell darin aus, bei der Vorstellungsrunde abzufragen, mit welchem Pronomen die Anwesenden angesprochen werden möchten. Je für sich sind das zum Teil nur kleinere Anpassungen, aber in der Summe ergeben sie ein Gesamtbild.
Gab es auch negative Erfahrungen?
Negative Erfahrungen gab es im eigentlichen Sinne keine, aber wir haben festgestellt, dass einigen Mitarbeitenden das Thema bislang eher fremd war. In der Auseinandersetzung damit geht es nicht um eine reine Wissensvermittlung, sondern um Fragen der Haltung. Dies setzt voraus, sich auch mit eigenen Glaubenssätzen und möglicherweise vorhandenen Vorurteilen bzw. Grundannahmen zu beschäftigen. Das ist keine leichte Kost. Wir sind daher sehr stolz auf unsere Mitarbeiter*innen, die sich sehr offen, zugewandt, engagiert und mit einem spürbar ehrlichen Interesse mit uns gemeinsam auf diesen Weg machen.
Wie gehen Sie weiter mit dem Thema um?
Ganz konkret geht es mittelfristig in diesem und ggf. auch Teilen des nächsten Jahres vordergründig um die Erstellung des Leitbilds und darum, diesen Prozess zielgerichtet voranzutreiben. Langfristig möchten wir am Thema dranbleiben. Dieses und andere Themen, mit denen wir uns im Rahmen der Leitbildentwicklung intensiv(er) auseinandersetzen, sollen nicht mit dessen Fertigstellung einschlafen. Durch regelmäßige Schulungen, interne Arbeitsgruppen und ggf. der Berufung einer Ansprechperson im Unternehmen für Fragen der Gendergerechtigkeit, erhoffen wir uns so einen fortlaufenden Arbeitsfluss.
Würden Sie anderen Organisation raten, sich dem Prozess auch anzunehmen? Und vor allem was würden Sie ihnen raten?
In jedem Fall. Dieser Prozess hatte schon jetzt vielerlei positive und wertvolle Effekte, so dass wir jeder Organisation dazu raten können, sich darauf einzulassen. LSBTTIQ* und Gendergerechtigkeit sind wichtige Themen. Wir waren überrascht und gleichzeitig schockiert, wie wenig Toleranz Menschen mitunter entgegengebracht wird, nur aufgrund ihrer Geschlechtsidentität, ihres Geschlechtsausdrucks oder auf Basis davon, vom wem sie sich sexuell oder romantisch angezogen fühlen. Gleichzeitig ist das Engagement für Soziale Gerechtigkeit von einzelnen und Anlaufstellen wie Elvan Alem von der tgbw für dieses Thema beeindruckend. Wir konnten fachlich, aus Unternehmenssicht und viele von uns auch persönlich schon vielfältig davon profitieren, diesen Prozess gestartet zu haben. Raten würden wir anderen Organisationen hierbei, dass es erst einmal darum geht, sich auf den Weg zu machen und weniger, schon übermorgen ein fertiges Konzept in den Händen zu halten. Und das es viel Expertise zu diesem Thema gibt. Es ist nicht nötig, auf sich allein gestellt zu versuchen, diesen Prozess anzustoßen. Wie in vielen anderen Feldern der Sozialen Arbeit kann auch hier auf ein breites und versiertes Netzwerk zurückgegriffen werden.
Im Gespräch mit
Sabine Kubinski
Stabsstelle Kommunikation und Projektentwicklung
Hinter den sozialen Angeboten von PräventSozial stehen über 50 kompetente und engagierte Mitarbeitende, die sich tagtäglich in verschiedenen Betreuungs- und Therapieangeboten in Stuttgart und den Landkreisen Esslingen, Rems-Murr, Böblingen und Ludwigsburg:
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für die Resozialisierung und Wiedereingliederung Straffälliger,
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präventiv für die Vorbeugung erster und die Verhinderung weiterer Straftaten von Jugendlichen, Heranwachsenden und Erwachsenen sowie
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für die Begleitung von Opferzeug*innen und deren Angehörigen im Strafverfahren einsetzen.