Paritätischer Armutsbericht : 1,5 Millionen Menschen im Land von Armut betroffen

Pressemitteilung - geschrieben am 26.03.2024 - 12:10

Stuttgart/Karlsruhe Die Armut in Baden-Württemberg verharrt mit 13,5 Prozent in 2022 auf hohem Niveau. Das ergibt der heute veröffentlichte Armutsbericht 2024 des Paritätischen Gesamtverbands. Damit sind mehr als 1,5 Millionen Menschen in diesem reichen Bundesland von Armut betroffen, also jeder siebte. Das sind zwar 0,6 Prozent weniger als im Vorjahr (2021), aber 28 Prozent mehr als noch 2005. Bei einer deutschlandweiten Armutsquote von 16,8 Prozent liegt Baden-Württemberg auf Rang zwei hinter Bayern (12,6 Prozent). Der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg appelliert an die Landesregierung, alles dafür zu tun, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, die historisch weiterhin hohe Armutsquote und deren Folgen für die Betroffenen wirkungsvoll zu bekämpfen und sich auf Bundesebene für eine umfassende Stärkung und Unterstützung armer Menschen einzusetzen. Dazu muss systematisch mehr in die Ausbildung und Qualifizierung von jungen Menschen und die Integration von Erwerbslosen in Arbeit investiert sowie eine armutsfeste Kindergrundsicherung und Mindestrente eingeführt werden, so der Verband.

Armut ist nach wie vor ein ungelöstes Problem im Land. Alleinerziehende, nicht Erwerbstätige, Menschen mit geringer Bildung und Migrationsgeschichte, aber auch ein Fünftel aller Kinder und Jugendlichen in Baden-Württemberg lebten in 2022 unterhalb der Armutsgrenze. Aber auch Erwerbstätige waren betroffen: Fast zwei Drittel der erwachsenen Armen gehen entweder einer Arbeit nach oder sind in Rente oder Pension. Insbesondere Frauen ab 65 Jahren (19,5 Prozent) sind von steigender Armut betroffen. Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, die Einkommens- und Lebensverhältnisse armer Menschen nachhaltig zu verbessern, denn Armut ist schambesetzt, verdeckt, vererbt, macht krank, verhindert Teilhabe und nimmt Perspektiven. Armut bestimmt nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft der Betroffenen“, betont Sabine Wild, Leiterin Armutsprojekte beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg. Langfristig gehe es im Kampf gegen Armut darum, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Und: Die Kinder und Jugendlichen von heute sind die Erwachsenen von morgen. Somit ist eine Investition in frühestmögliche Armutsprävention und Chancengleichheit eine „Zukunftsinvestition“, so Wild weiter. Kurzfristig müsse die Landesregierung alles Erdenkliche tun, um endlich wirkungsvoll mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Zudem solle die Nutzung des ÖPNV für Menschen in der Grundsicherung kostenlos sein. Darüber hinaus sei der Zugang zu Hilfen niedrigschwellig und unbürokratisch zu gestalten“, so Wild.

„In Karlsruhe besteht ein enges Netz der sozialen Begleitung und Betreuung für von Armut betroffene Menschen. Das enge und gute Miteinander von Stadt und Freier Wohlfahrtspflege kann vieles auffangen. Dennoch dürfen wir uns in Karlsruhe nicht darauf ausruhen. Die Freiwilligkeitsleistungen der Stadt für soziale Arbeit müssen verstetigt werden, um das Betreuungsangebot dauerhaft aufrecht zu erhalten. Auch sollte darauf geachtet werden, dass bei aller notwendigen Digitalisierung Menschen ohne digitale Zugänge nicht abgehängt werden. Dies ist vor allem für Ältere von Armut betroffene Menschen von besonderer Bedeutung“, sagt Christian Braunagel, Leiter der Paritätischen Regionalgeschäftsstelle Mittelbaden in Karlsruhe.

„Wir haben in Karlsruhe ein gutes Unterstützungssystem für Menschen in Armut. Vom Karlsruhe Pass bis hin zu Möglichkeiten der Teilhabe an Kultur und Stadtgeschehen. Trotzdem ist es kaum auszuhalten, wie viele Menschen die Tafeln und andere Essensausgaben nutzen müssen. Vor allem Alleinerziehende und ältere Frauen. Und am unerträglichsten ist es natürlich für die Menschen, mit denen SOZPÄDAL arbeitet, nämlich jene, die zu ihrer Armut auch noch ihre Wohnung verloren haben. Das ist das Schlimmste, was Menschen passieren kann. Keine eigenen vier Wände, keine Tür die sie hinter sich zu machen können. Gerade alleinerziehende Frauen mit Kindern leiden unter dieser Situation, da sie mit ihren Kindern in ordnungsrechtlichen Unterbringungen sind, wo kein normales Leben möglich ist. Wer wohnungslos ist, hat natürlich auch Probleme am Arbeitsleben teilzuhaben, weil es keinen geregelten Alltag gibt. Die Stadt Karlsruhe versucht da einiges auszugleichen, aber es fehlt einfach an bezahlbarem Wohnraum für Menschen in Armut“, erklärt Lissi Hohnerlein, Geschäftsführende Vorständin TafF - Tagestreff für Frauen von SOZPÄDAL in Karlsruhe.

In Baden-Württemberg ist in den Regionen Ostwürttemberg mit 15,1 Prozent (+ 2,3), Schwarzwald-Baar-Heuberg 14,7 Prozent (+ 1,2) und Nordschwarzwald 13,0 Prozent (+ 0,9) die Armut gestiegen. Die Bandbreite reicht von der Region Donau-Iller (BW) 11,5 Prozent (-2,0), Neckar-Alb 12,3 Prozent (-0,6), Stuttgart 12,4 Prozent (-1,1), Heilbronn-Franken 13,0 Prozent (-0,2), Nordschwarzwald 13,0 Prozent (+0,9), Bodensee-Oberschwaben 13,6 Prozent (-1,1), Mittlerer Oberrhein 13,6 Prozent (-1,3), Schwarzwald-Baar-Heuberg 14,7 Prozent (+1,2), Südlicher Oberrhein 14,8 Prozent (-1,4), Hochrhein-Bodensee 15,1 Prozent (-0,1), Ostwürttemberg 15,1 Prozent (+2,3) bis zu 15,2 Prozent in Rhein-Neckar (-0,2). 

Hintergrundinformation

Der Armutsbericht des Paritätischen zählt einer EU-Konvention entsprechend Haushalte als arm, wenn sie über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. Der Armutsbericht des Paritätischen zählt einer EU-Konvention entsprechend Haushalte als arm, wenn sie über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. In Euro lag der so ermittelte Wert, den die amtliche Statistik als Armutsgefährdungsschwelle bezeichnet, 2022 für Singles bei 1.186 Euro, für Alleinerziehende mit einem kleinen Kind bei 1.542 Euro und für einen Paarhaushalt mit zwei kleinen Kindern bei 2.490 Euro. Zum Paritätischen Armutsberich: https://www.der-paritaetische.de/themen/sozial-und-europapolitik/armut-und-grundsicherung/armutsbericht-2024-armut-in-der-inflation/

Der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg - gegründet 1948 - ist einer der sechs anerkannten Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege. Er ist konfessionell, weltanschaulich und parteipolitisch unabhängig. Er steht für Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Teilhabe und wendet sich gegen jegliche Form sozialer Ausgrenzung. In den kommenden Jahren wird sich der Paritätische Baden-Württemberg verstärkt drei Strategiefeldern widmen: - Zusammenhalt in einer vielfältigen, inklusiven und demokratischen Gesellschaft - zukunftsfähige Lebensräume - Soziale Innovationen. Ihm sind in Baden-Württemberg über 900 selbständige Mitgliedsorganisationen mit insgesamt rund 2000 sozialen Diensten und Einrichtungen angeschlossen sowie rund 50.000 freiwillig Engagierte und 80.000 Hauptamtliche. Weitere Infos unter www.paritaet-bw.de 

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