Trends und Innovationsfähigkeit im freiwilligen Engagement

Fachinformation - geschrieben am 15.02.2024 - 10:53

Entwicklungen ehrenamtlicher Tätigkeit hin zur aktiven Zivilgesellschaft

Ehrenamtliches Engagement gilt als „unverzichtbare Bedingung für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft“ (Weber 2020, S. 4). Gerade in Krisensituationen, wie etwa der Corona-Pandemie und den auch hier spürbaren Folgen des Krieges in der Ukraine, braucht es eine aktive Zivilgesellschaft und engagierte Menschen. Innovation ist ein Weg, um ein bekanntes Problem – wie die Gewinnung neuer Ehrenamtlicher – zu lösen.

Bereits vorherige Krisensituationen zeigten, dass Engagierte „oft schneller und unbürokratischer als der Staat“ reagieren und Probleme mit „innovative[n] Ideen, große[r] Einsatzbereitschaft und hohe[r] Motivation“ angehen (Walter/Friese 2021, S. 1). Gerade zu Beginn der Pandemie halfen viele Menschen freiwillig (ebd.; Beyer et al. 2021, S. 19) und trotz möglicher Risiken für die eigene Gesundheit ging auch das Engagement älterer Menschen ab 45 Jahren während der Pandemie nicht zurück (Simonson/Kelle 2021).

 

Dieser Trend hielt jedoch mit dem Andauern der Pandemie nicht an. Wie eine Befragung der Verbände von ZiviZ während der zweiten Welle im Herbst 2020 zeigt, ging das Engagement hier bereits deutlich zurück (Beyer et al. 2021, S. 19-20). Viele Vereine und Verbände verloren während der Pandemie Mitglieder und ehrenamtlich Engagierte (u.a. Breuer et al. 2021) und ringen nun nach der Pandemie darum, diese zurückzugewinnen oder neues Interesse für das Ehrenamt zu wecken. Insbesondere in der Gruppe, der 30- bis 49-Jährigen, die gemäß dem Freiwilligensurvey von 2019 überdurchschnittlich engagiert waren (Simson et al. 2021, S. 16), ist das Engagement in der Pandemie durch die Notwendigkeit, Kinder zu Hause zu betreuen, zurückgegangen (Beyer el al. 2021, S. 17). Es wird davon ausgegangen, dass hiervon insbesondere die „familienbezogenen und sozialen Engagementbereiche (…) (zum Beispiel sozialer Bereich, Schule und Kindergarten, Gesundheit, Kirche und Religion)“ betroffen waren.

 

In vielen Bereichen fehlen Engagierte

Auch bei der Gruppe der jungen Menschen im Alter von 14 bis 29 Jahren, deren Engagement gemäß dem Freiwilligensurvey seit 2014 zugenommen hatte (Simson et al. 2021, S. 16), wird davon ausgegangen, dass viele sich pandemiebedingt aus ihrem Ehrenamt zurückzogen. Insgesamt betrachtet ist die Zahl ehrenamtlich Engagierter jedoch im Vergleich zu 2019 wieder auf einem ähnlichen Niveau angelangt: 15,98 Millionen Menschen in 2019 zu 16,06 Millionen in 2023 (Statistisches Bundesamt 2023)1. Auch wenn Menschen nun langsam wieder in ein Ehrenamt zurückkehren, fehlt es in vielen Bereichen noch immer an Engagierten.

Bei diesem Blick auf die pandemiebedingten Entwicklungen vergisst man zudem leicht, dass auch vor der Pandemie – gemäß dem Freiwilligensurvey von 2009 – Menschen mit geringerem Bildungsniveau sowie Menschen mit Migrationshintergrund oder eigener Zuwanderungserfahrung sich weniger engagierten (Simson et al. 2021, S. 17-18). Das hat sich auch 2023 nicht geändert (Statistisches Bundesamt 2023)1. Anzumerken ist dabei jedoch, dass Migrant*innen sich sehr wohl in ähnlichem Maße wie Menschen deutscher Herkunft einbringen, jedoch häufiger in religiösen Einrichtungen oder informell in sozialen und familienbezogenen Bereichen (Brinkmann/Kart 2013, S. 186-187).

Viele Vereine und Verbände befassten sich bereits vor der Pandemie damit, wie sie diese Gruppen besser ansprechen und integrieren können. Der Verlust an Ehrenamtlichen während der Pandemie stellt Vereine und Verbände nun mehr denn je vor Probleme. Die Frage, wie sie sich verändern müssen, um Menschen anzusprechen und für ein Ehrenamt zu gewinnen, ist damit für viele zentral. Wie dies gelingen kann, soll im Folgenden diskutiert werden.

 

Notwendigkeit, innovativ zu sein

Innovativ zu sein bedeutet, eine neue Praxis im Umgang mit einem bekannten Problem und Bedürfnis – wie der Gewinnung neuer Ehrenamtlicher – zu entwickeln und zu etablieren (Howaldt/Schwarz 2019, S. 2). Damit erfolgt immer auch ein Rückbezug auf Praktiken, die bereits genutzt wurden, aber unter den aktuellen Bedingungen nicht (mehr) funktionieren. Dabei meint ‚neu‘ nicht unbedingt eine Praxis, von der noch nie zuvor jemand gehört hat. Vielmehr gilt es bisherige Praktiken, vielleicht auch aus anderen Handlungsfeldern, zielgerichtet neu zu nutzen (ebd., S. 11). Vereine und Verbände müssen also erst einmal zurückblicken und sich damit befassen, wie sie bisher versucht haben, neue Ehrenamtliche zu gewinnen bzw. auf welchem Wege, diese zu ihnen gekommen sind. Helfen kann auch ein Blick auf Untersuchungen zur Frage, was Menschen zu freiwilligem Engagement motiviert bzw. sie daran hindert. Dabei sind die Motive gemäß dem Freiwilligensurvey keineswegs einheitlich (Arriagada/Karnick 2022). Somit müssen – je nach anzusprechender Gruppe – unterschiedliche Praktiken entwickelt und getestet werden, um neue Ehrenamtliche zu gewinnen.

 

Entwicklungsschub durch die Pandemie

Die Pandemie hat bei vielen Vereinen und Verbänden bereits zu einem „Entwicklungsschub im Engagement“ (Walter/Frei- se 2021, S. 2) geführt. In Kirchen wurde beispielsweise die Seelsorge neu organisiert; es gab Telefonangebote für einsame Menschen (ebd.) und viele Angebote – sei es Beratung oder Sport – wurden auf einmal digital organisiert (ebd.). Dabei machten einige Organisationen auch die Erfahrung, dass sich plötzlich mehr Menschen zuschalteten als vorher zu einem Präsenzangebot gekommen wären (ebd.). Die Pandemie zeigte jedoch auch, dass digitale Angebote menschliche Begegnungen nicht ersetzen können und sich Menschen nach der Pandemie auch wieder persönlich treffen und austauschen wollen. Für Vereine und Verbände stellt sich nun die Frage, wie sie die erfolgte Digitalisierung nun weiter nutzen können. Grundsätzlich verdeutlicht dieser Entwicklungsschub jedoch, dass Vereine und Verbände ihre Praktiken neukonfigurieren und damit Lösungen finden können.

 

Inspiration durch andere

Wie die Pandemie gezeigt hat, gilt es Praktiken auch aus anderen Kontexten und Handlungsfeldern zu nutzen. Dabei kann es helfen darauf zu schauen, wie andere Organisationen Engagierte oder auch hauptamtliche Mitarbeitende gewinnen und zu überlegen, wie sich diese Praktiken nutzen lassen. Doch Vorsicht: soziale Innovationen lassen sich nicht eins zu eins übertragen, sondern müssen immer an den eigenen Kontext angepasst werden (Kessler/Beutler 2023).

 

 

 

 

Beitrag aus ParitätInform 4/2023

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